ADA_ULTIMA


Josella Simone Playton


Ich habe nicht mehr viel Zeit. Die Hinrichtung ist auf morgen früh angesetzt. Alle Gnadengesuche sind vom Sektorkommandanten abgelehnt worden. Ich werde die letzte Nacht dazu benutzen, eine - nein, keine Rechtfertigung - eine Beschreibung der Vorgänge aus meiner Sicht anzufertigen. Einige Dinge herauszustellen, die in der Verhandlung nicht genügend gewürdigt worden sind.

Es wird nichts mehr ändern. Außerdem ist es wohl zweckmäßig, unausgeschlafen zur Hinrichtung zu erscheinen. Jedenfalls, seitdem die Mittel so zusammengestrichen worden sind, daß die Delinquenten ohne Narkose der Protein-Wiedergewinnungsanlage zugeführt werden. Es wird eben alles knapp, jetzt, wo der Krieg eine für uns so ungünstige Wendung genommen hat.

Als das Chibra-Imperium der Schwestersterne unsere Kolonien im Beta Pictoris System nahm, waren wir militärisch vergleichsweise garnicht so schlecht ausgerüstet. Das lag nicht nur daran, daß sehr viele junge Kolonien in dem Imperium aufgegangen waren, die wenig oder gar keinen militärischen Aufwand trieben, sondern auch an ihrem verrückten Quibra-Kult, demzufolge alle jungen Männer lange in den Läuterungslagern verbringen mußten, bevor sie wirklich Aussicht auf Karriere in öffentlichen Ämtern hatten. Da lernt man nichts über Technik und Naturwissenschaften. Uns war das schon lange bekannt, und deshalb haben wir uns auch in Sicherheit gewogen. Wie sollten diese Traumtänzer unter der Leitung dieser weltfremden Quibra- Priesterinnen jemals Kriegsraumschiffe bauen können? Und warum sollten sie uns überhaupt jemals angreifen wollen?

Ich war damals ein kleiner Projektleiter bei der PANSOLAR Gruppe. Nicht in den Werften, die jeder kennt, sondern bei einem assoziierten Softwarehaus. Systemnahe Software für so ziemlich alle Computer, die die Raumflotte auf ihren Schiffen betreibt. Mein Team wartete den ADA_PAN Compiler, der auf fast allen PANSOLAR Rechnern läuft und für wirklich alle Code erzeugt.

Ein guter Job, eine gute Sprache, ein motiviertes Team. Mein Einkommen war, naja, ausreichend, die weiteren Aufstiegschancen nicht übertrieben trübe. Und als die Kriegserklärung bekannt wurde - zwei Tage nach dem Angriff auf Beta Pictoris - da hätte jeder von uns am liebsten eine Quibra-Priesterin mit bloßen Händen zerlegt. Wer erinnert sich nicht an die agressive Stimmung, in der sich in jenen Tagen jeder Bürger der Solaren Union befand? Sogar Angestellte der Rüstungsindustrie, die gewerkschaftlichen Ideen nahestanden, arbeiteten deutlich länger als die tarifvertraglich vereinbarten zwanzig Wochenstunden. Uns allen kochte das Adrenalin im Blut.

Nun, die Vergeltung war rasch organisiert und durchgeführt. Die Flotte konnte sich vor Freiwilligen nicht retten, und als unsere Schiffe von der Rückeroberung der drei nun nicht mehr bewohnbaren Beta Pictoris Planeten nach Hause kamen, gab es ein Fest, an dem die gesamte Solare Union teilnahm. Unter der Hochstimmung vergaß man allerdings zu leicht, daß zwar eine Schlacht gewonnen war, der Gegner sich aber nur zurückgezogen hatte. Außerdem würden Jahrtausende vergehen, bevor die drei Planeten der Beta Pictoris wieder lebenden Menschen den Aufenthalt auf ihrer Oberfläche ohne ganz besondere Schutzmaßnahmen gestatten würden. Als das ehemalige Touristik-Resort war das ganze Beta Pictoris System ohnehin für immer verloren.

Nachdem das Quibra-Imperium sich zunächst jedem Zugriff entzog, kam es in der Solaren Union sehr rasch zu innenpolitischen Streitereien, als man erst so richtig merkte, wieviele Investitionen man im Beta Pictoris System abschreiben konnte. Da mußten immense Entschädigungen gezahlt werden - drei total zerstörte Planeten sind nicht billig.

Infolge dieser Streitereien wechselte die Regierung. Wie üblich änderte das die Politik überhaupt nicht, lediglich, solange man den Quibra-Führern nicht habhaft werden konnte, suchte man sich sehr gezielt heimische Sündenböcke. Man fand sie auch: Programmierer und Informatiker.

Man kam nämlich dahinter, daß der Angriff des Imperiums schon Wochen voher hätte bekannt gewesen sein können. Da gab es ein unbemanntes Vermessungsschiff, die RASCAL, die in der Nähe des Beta Pictoris stand und astrophysikalische Messungen durchführte. Die günstige Position des Schiffes ermöglichte gleichzeitig, daß es für Relaisdienste eingesetzt werden konnte. In der Reichweite des Schiffes war nicht nur das Beta Pictoris System, sondern noch eine ganze Menge anderer Systeme, darunter auch einige des Imperiums. Damals fand die Solare Union nichts dabei, Nachrichtenkanäle an jeden zu vermieten, der dafür bezahlen konnte. Und das Imperium überwies gewissenhaft die Gebühren.

Natürlich hatte man gehofft, daß man auf diese Weise etwas in die interne Kommunikation des Imperiums hineinhören konnte. Die Hoffnung war begründet: Das Imperium verwendete die RASCAL sogar als Relais für einige rein militärisch genutzte Breitbandkanäle.

Diese Nachrichten wurden von der RASCAL nicht nur weitergeleitet, sondern gleichzeitig noch gespeichert und stichprobenartig analysiert, ein Detail, daß man den Mietern der Relaisdienste natürlich verschwiegen hatte. Man meinte damals, diese Stichproben seien der Vorsorge genug.

Das Programm, daß den vermittelten Informationsfluß analysieren sollte, war recht primitiv. Man hatte sich darauf beschränkt, nur die Textströme des Quibra Imperiums zu analysieren. Es wurde eine Häufigkeitsanalyse über die verschiedenen Begriffe gemacht. Daraus zog das Programm dann den Schluß, worüber die Quibra-Leute am meisten redeten.

Gewiß, es gab damals schon weit bessere Sprachanalysatoren, seit langem sogar. Es heute ist völlig unverständlich, wie man ein so primitives Programm an einem so wichtigen Drehpunkt instellarer Informationsflüsse einsetzen konnte. Es ist nie so richtig rausgekommen, warum das der Fall war. Die wahrscheinlichste Version ist, daß der verantwortliche Nachrichtenoffizier keinen Überblick über die am Markt erhältlichen Produkte hatte und selbst die Programmierung in die Hand genommen hatte. Vielleicht hatte er auch seinen Adjutanten programmieren lassen. Man weiß ja, wie schwer gute Programmierer zu bekommen sind, besonders in den Streitkräften.

Dieses Programm tat also auf der RASCAL Dienst. Nun ist bekannt, daß die Quibra-Führer alles und jedes mit irgendwelchen religiösen Zitaten begründen. Im Imperium gibt es keine noch so kurzen Befehle, ohne daß noch Verse aus dem heiligen Buch der Quibra-Schwestern folgen, die zur Erhellung des Gesagten dienen sollen.

Die anschwellende Flut militärischer Kommunikation führte also auch dazu, daß das Analyseprogramm durch Begriffe aus der Quibra-Lehre verwirrt wurde. Die Meldungen, die der militärische Führungsstab auf der Erde von der RASCAL erhielt, lautete dann dahingehend, daß das Quibra-Imperium über seine teuer angemieteten Kanäle "philosophische Diskurse" führe. Niemand ging dem nach. Schließlich traute man den Quibra-Leuten so etwas tatsächlich zu.

Nun aber, im Nachspiel der ersten Schlacht gegen das Imperium, wurden die Daten der RASCAL noch einmal gründlichst ausgewertet. Und wieder einmal war klar: ein Computer hat versagt, mithin ein Programmierer.

So geriet die ganze Zunft der Programmierer, Programmierprojektleiter und Systemanalytiker in Miskredit. Vielleicht ist es der Größe des finanziellen Verlustes durch den Feldzug zuzuschreiben, daß auf diese Weise einmal wieder eine ganze Klasse von Menschen difamiert wurde. Es gab sogar einige Fälle, wo Software-Spezialisten in Prozessen, die von der Öffentlichkeit intensiv verfolgt wurden, tatsächlich für Programmierfehler verurteilt wurden (Es wurde sogar ein Arbeitslager für verurteilte Softwarespezialisten zunächst eingerichtet, aber bald schon wieder aufgegeben, da man nicht wußte, was man die Verurteilten arbeiten lassen sollte - außer programmieren.).

Ein seltsames Klima war das, in jenen Tagen. Einerseits konnte man kaum noch zugeben, ein Software-Ingenieur oder etwas ähnliches zu sein. Andererseits wurden Softwerker gesucht, besonders auch wegen des weiteren Ausbaues unserer Flotte. Programmierer waren also schwer zu bekommen. Und so schossen die Gehälter der Programmierkundigen in astronomische Höhen, ein Effekt, der von den Kritikern der Programmiererzunft gewiß nicht beabsichtigt gewesen war.

Ich selbst profitierte von diesem Effekt durchaus auch. Keine Organisation, die Programmierer beschäftigte, ließ es zu, daß die Vorgesetzten schlechter bezahlt wurden als die Leute, die die Arbeit wirklich tun. So schossen nicht nur die Gehälter der Programmierer selbst in die Höhe, sondern sie trieben die Gehälter des ganzen hirarchischen Überbaus ebenfalls mit nach oben. Das bewirkte eine ebenso große Kostensteigerung in allen Softwareprojekten. Und aus gutem Grunde beschwerten die betroffenen Abteilungsleiter sich nicht zu laut.

Der Verlust des Beta Pictoris Systems, der Ausbau der Flotte, und die immer mehr steigenden Personalkosten belastete die Allgemeinheit stark. Und so wurde wieder einmal - zum wievielten Male eigentlich - der Ruf nach besseren Tools laut. Bessere Sprachen, bessere Workstations, bessere Editoren, bessere Expertensysteme, bessere CAD-Systeme, bessere Prozeßrechner und so weiter.

Die Weiterentwicklung der Sprachen wurde von der Flotte als der bedeutensten Teilstreitkraft übernommen. Daß die Militärs sich darum kümmern würden war von vornherein klar. Wie man weiß, wurde ja schon die erste sogenannte universelle Programmiersprache, das legendäre ADA, fast ausschließlich auf Betreiben der Militärs definiert und entwickelt, woran nach dem ökonomischen Kollaps der damaligen Vereinigten Staaten von Amerika am Anfang des letzten Jahrhunderts aber niemand erinnert werden möchte (Schon garnicht die Militärs.).

Ein gewisser General McFurlong schickte sich an, an seiner eigenen Karriere mit Hilfe der neuen Softwarekrise weiterzubasteln.

Dieser brilliante Kopf, der eigentlich die militärischen Anwendungen des feldmäßigen Brückenbaus studiert und erst spät einen fachlichen Schwenk in Richtung Informatik getan hatte, hatte seinerzeit die Idee, das Sprachfeature der "selbstdefinierenden Kommentare" für einen Vorgänger von ADA_ULTIMA einzuführen, kaum, daß er begriffen hatte, was eine Programmiersprache ist: Nichtlegale Programmteile sollten automatisch als Kommentare interpretiert werden. Das würde insbesondere ermöglichen, daß Kommentare nicht speziell als solche gekennzeichnet werden müßten. Keine andere Programmiersprache hätte ein solch fortschrittliches Konstrukt zu bieten.

Dann zeigte es sich jedoch, daß es einem Compiler dieser Sprache unmöglich gewesen wäre, irgendwelche Programmierfehler zu melden, und jeder Schulaufsatz und jedes Gedicht wäre im Prinzip ein legales Programm gewesen. Mit Mühe konnte McFurlong diese Idee ausgeredet werden, leider erst, als bereits erhebliche Mittel in die Compilerentwicklung dieser Sprachen geflossen waren.

Als der zweifelhafte Wert dieses Sprachfeatures klar wurde, war McFurlong der erste, der in vielen Fachartikeln darauf hinwies, daß er schon immer gegen die selbstdefinierenden Kommentare gewesen war. Mit Hingabe baute er die Abteilung, der er selbst soviele Jahre vorgestanden hatte, wieder ab und beendete auf diese Weise auch jegliche Karrierehoffnungen seines Nachfolgers.

Jetzt war McFurlong also die neue Triebfeder der Abteilung für neue Sprachen. (Es zeigte sich mal wieder die Gültigkeit der alten Weisheit für Aufsteiger: Um etwas zu werden, muß man bekannt sein. Und das schafft man am besten, indem man ein Milliardenprojekt in den Sand setzt.) Ohne von allzuviel Sachkenntnis getrübt zu sein, nahm er seine Arbeit auf.

Nach gängigem Muster wurde eine Ausschreibung gemacht. Verschiedene Teams sollten sich Gedanken über die neue Programmiersprache machen und ein Sprachdesign vorlegen. Um sicherzustellen, daß tatsächlich auch die besten Informatiker, die es in der ganzen Solaren Union gab, an diesem Projekt mitarbeiteten, wurde praktisch jedes Softwareteam, das sich in etwa thematisch mit der Implementierung von Sprachen und mit Compilerbau allgemein beschäftigte, zwangsverpflichtet. Damit wurde zwar auch bewirkt, daß die besten Informatiker der Solaren Union kaum noch an etwas anderes arbeiten konnten, aber schließlich war ja Krieg und Opfer mußten gebracht werden.

Weiterhin gab McFurlong Vorgaben. Die Sprache sollte einfach alles können. So sollten etwa, um der wiederholten Wieder-Erfindung des Rades vorzubeugen, alle gängigen Lehrbuchalgorithmen als Funktionen fest in die Sprache integriert werden. Das waren nicht nur alle Query-Sprachen für die wichtigsten Datenbanken oder solche Dinge wie Sortieralgorithmen und alle mathematische Funktionen, virtuelle Gerätetreiber und Windowmanager, nein, sogar ganze Konzepte auf der Künstlichen-Intelligenz-Thematik, wie Gestalterkennung und Rumpf-Expertensysteme mußten als Basiseinheiten in der neuen Sprache vorhanden sein, wenn nur irgendwo eine Pilotimplementation schon einmal geglückt war.

McFurlong wäre nicht McFurlong gewesen, wenn er nicht in aller Gründlichkeit jede Möglichkeit vohergesehen hätte. Wo steht denn zum Beispiel geschrieben, daß alle Computer binär organisiert sind? Die Sprache mußte sich an andere Zahlensysteme anpassen können, etwa Code erzeugen für trinäre Maschinen, neuronale Netzwerke, optische nichtlineare Interferenzcomputer. Es durfte einfach keine formale Sprache geben, die etwas konnte, was die neu zu definierende Sprache nicht konnte.

Die Definitionsphase der Sprache dauerte lange. In diese Zeit fiel der Angriff des Imperiums auf Orchard's Well, jenes kleine System im Pferdekopfnebel, das wir nicht kolonisiert haben, weil es sich herausstellte, daß der einzige Planet des Systems von intelligenten Lebewesen bewohnt wurde, kleine, neugierige, flinke amphibische Garnelen. Diese junge Rasse, die noch keine eigene Technologie entwickelt hatte, stand seit ihrer Entdeckung unter dem besonderen Schutz der Solaren Union. Deshalb waren wir gezwungen, sie aus dem Zugriff des Imperiums zu befreien.

Die Aktion war erfolgreich, und das Imperium büßte eine erhebliche Anzahl von modernen Schiffen ein. Für die Bewohner von Orchard's Well war die Aktion insofern erfolgreich, als daß wenigstens die Tiefsee bewohnbar blieb und damit das Überleben dieser Rasse gesichert erscheint.

Der Kampf um Orchard's Well enthüllte zwei Dinge. Zum einen war die Anzahl der softwarebedingten Fehlfunktionen in den Kampfschiffen deutlich geringer als gewöhnlich. Zunächst vermutete die Admiralität, daß es an der neuesten Generation der installierten Kampfleitrechner lag. Erst als auch schon jemand dafür ausgezeichnet worden war, fand man heraus, daß die große Menge an Programmierern, deren Produktivität durch die Sprachdefinition gebunden war, die Bordsoftware nur wenig warten konnten. Es wurden nur die notwendigsten Reparaturen gemacht, aber keine weiteren Implementierungen aufgenommen. Das ersparte der Flotte den Ärger mit neuer, ungetesteter Software.

Das Zweite, was deutlich wurde, war ein gewisser Personalmangel. Das war zunächst merkwürdig, wo doch an Freiwilligen kein Mangel war. Der Grund war einfach der, daß der eingefrorene Bestand an Software in der Flotte ermöglichte, genau Buch darüber zu führen, was funktionierte und was nicht. Die fehlende Funktionalität konnte in gewissem Maße durch manuelle Methoden ersetzt werden. Dabei stellte sich heraus, daß gewisse Funktionen der künstlichen Intelligenz, etwa Expertensysteme, die die taktische Lage eines Raumgefechtes beurteilen konnten, wesentlich schneller durch erfahrene Raumsoldaten ausgeführt werden konnten. Der Vorteil gegenüber unserer Gegenseite war nicht unerheblich, nur die Besatzungen der Kriegsschiffe mußten eben aus diesem Grunde zahlenmäßig aufgestockt werden.

Es wurden daraus keine besonderen Schlußfolgerungen gezogen, da der Sieg von Orchard's Well auch gebührend gefeiert werden mußte. Die Tage, in denen die Solare Union sich der Selbstbeweihräucherung hingab, nutzte das Imperium, um die Iridiumminen und einen unbedeutenden Militärstützpunkt auf Calamos zu zerstören. Zweifellos ein kleiner Verlust, wenn man bedenkt, wie weitgehend Iridium in der Technologie durch andere Stoffe ersetzt werden kann. Um die allgemeine Siegesstimmung nicht mehr als notwendig zu stören, entschied die Admiralität, den Vorfall geheimzuhalten.

Das hatte die Folge, daß der Achtzehnte Strategische Flottenverband ahnungslos den Calamos ansteuerte, um in den dortigen Raumhafen Deuterium zu bunkern. Da es dort keinen Raumhafen mehr gab, und auch kein Deuterium, saß die Achtzehnte fest und fiel für weitere militärische Unternehmungen aus.

Es gelang der Admiralität jedoch, auch diese Kalamität noch zum Guten zu wenden. Da die drei Urlaubsplaneten im Beta Pictoris System zerstört worden waren, und da ja sowieso Krieg war, hatten die meisten Raumsoldaten einen Überhang an ausstehendem Urlaub. (Außerdem mußte Resturlaub aus dem Vorjahr aufgebraucht werden, da der 31. März sich näherte.) Die Besatzungen der Achtzehnten Strategischen durften jetzt ihren gesamten Urlaub zwischen den öden Kratern von Calamos verbringen.

Das waren jedoch nur kleine Vorfälle, die den Verlauf des Krieges nicht weiter beeinflußten. Nun begann, mit äußerster Dringlichkeit, die Implementation des einen Sprachentwurfes, auf den man sich geeinigt hatte. Jedenfalls glaubte man noch, daß es sich um genau einen Entwurf handelte.

Dieser Glaube trog. Die entscheidende Kommission tagte auf den schwimmenden Inseln von Iridis, einem Planeten, der über ein hervorragendes, gesundes Klima verfügte, und über eines der renommiertesten Bordelle, das jetzt, nach dem Abgang von Beta Pictoris, praktisch konkurrenzlos dastand. Die Kommission hatte den Tagungsort aus rein sachlichen Gründen gewählt, da eine Unmenge von Sprachentwürfen in Ruhe gesichtet werden mußte.

Die Entscheidung der Kommission mußte an die Admiralität auf der fernen Erde geschickt werden, und, wie der Zufall es wollte, war eines der Relaisschiffe die inzwischen relozierte RASCAL.

Auf der RASCAL gab es inzwischen ein besseres Analyseprogramm. Dieses Programm verstand schon recht gut, wovon die Rede war. Allerdings hielt es die Empfehlung der Kommission für eine Sendung des Imperiums, und es berichtete der Admiralität entsprechend. Die Admiralität glaubte also Erkenntnisse zu haben, wonach das Imperium die Sprache gestohlen hatte und ebenfalls als Programmiersprache einführen wollte. Kurzerhand verwarf man den Entwurf und wählte die zweite Sprache auf der Liste, allerdings, ohne die Kommission auf dem fernen Iridis zu informieren. Aus Geheimhaltungsgründen, versteht sich.

Von diesem Zeitpunkt an gab es also zwei Sprachen unter demselben Namen, der jetzt vergeben wurde: ADA_ULTIMA. Die letzte und beste aller Programmiersprachen.

McFurlong hätte diese Situation sofort bereinigt, wenn er etwas geahnt hätte. Dem war aber nicht so. Inzwischen hatte er sich gründlich in die Materie eingearbeitet und BASIC gelernt. Daraus zog er den Schluß, daß er alles über Softwareproduktion wußte.

Das Imperium wußte noch nichts von dieser neuen Entwicklung. Das sollte aber nicht so bleiben. Da gab es auf Iridis eine freiberuflich bei den lokalen Bordellbetrieben beschäftigte Dame, die im Sold des Imperiums stand. Wahrscheinlich gab es deren sogar mehrere, diese eine aber brachte in Erfahrung, welcher Sprachentwurf nun gewählt worden war, indem sie eine Kopie der Liste der "TOP TWENTY" in ihren Besitz brachte (Was diese Dame mit der Kommission zu tun hatte ist bis heute unklar.). Jedenfalls sicherte sie sich auf diese Weise einen bleibenden Platz in den Geschichtsbüchern.

Kennen Sie noch die alten Kopierer, wie man sie schon vor zweihundert Jahren anwendete, für Kopien von Informationen, die in direkt sichtbarer Form auf Papier zu lesen waren? Wenn Sie diese Geräte noch kennen, dann wissen Sie, daß man die Vorlage sehr genau auf das Kopierfenster legen muß, sonst fehlt nachher ein Rand. Oder die oberste Zeile.

Das ist jedenfalls, nach unserem heutigen Wissen, dieser Agentin passiert. Die oberste Zeile der Bewertungsliste fehlte. Als dieses Blatt dem Kriegsministerium des Chibra-Imperiums vorlag, hielt man den zweiten Vorschlag für die Sprache ADA_ULTIMA. Also gerade jenen Sprachentwurf, den die Admiralität auf der Erde letztendlich ausgewählt hatte.

Die Kommission auf Iridis wußte von alledem nichts. Und in echter Arbeitsteilung, wie es in der Flotte üblich ist, bekam die Kommission eine neue Aufgabe: In der ganzen Flotte mußten Programmierer in der neuen Sprache ADA_ULTIMA unterichtet werden. Die Kommission hatte diese Aktivitäten zu koordinieren. Die Admiralität selbst hingegen leitete die Implementierung der nötigen Compiler in die Wege - also im wesentlichen die Entwicklungsaufträge an meine Abteilung.

Das Imperium tat dasselbe. Es war allerdings insofern der Solaren Union gegenüber im Vorteil, als daß Implementierungs- als auch Ausbildungs-Bemühungen sich auf dieselbe Sprache bezogen.

Aus heutiger Sicht ist es erstaunlich, wie lange diese beiden sehr unterschiedlichen Sprachen unter demselben Namen koexistieren konnten und von allen Beteiligten auch für dieselbe gehalten wurden. Zwar waren die beiden Sprachdefinitionen schon in den Vorworten unterschiedlich, aber selbst wer die beiden, jeweils etwa 2500 Seiten dicken Bände vorliegen hatte, machte sich kaum die Mühe, zu vergleichen. Im Allgemeinen hielt man den einen Band für eine Umarbeitung des anderen. (Ganz besonders interessant waren die Übersetzungen in die Sprachen unserer Verbündeten, wo es in einigen Fällen vorgekommen war, daß Teile aus der einen Sprachbeschreibung zusammen mit Teilen aus der anderen Sprachbeschreibung übersetzt worden waren. Wieviele weitere Variationen von ADA_ULTIMA auf diese Weise entstanden sind ist nie bekannt geworden.)

Die Admiralität setzte uns Randbedingungen, bedingt durch den stärker werdenden militärischen Druck des Imperiums. In zwei Jahren sollten die ersten Compiler ausgeliefert werden, koste es, was es wolle. Es kostete auch, was es wollte. Als der Krieg ausbrach, hatte ich 84 Software-Ingenieure und Informatiker für den Vorgänger von ADA_ULTIMA. Doppelt so viele, als wir mit ADA_ULTIMA anfingen. Zwei Jahre danach, als der erste Compiler ausgeliefert werden sollte, waren es vierzehntausend. Nur der Compiler war nicht fertig. Für keine einzige Maschine. (Unsere Hochglanzprospekte hingegen wurden schon zehn Tage nach Auftragserteilung in alle Winkel der zivilisierten Galaxis verschickt.)

Wir hätten eine (kleine) Untermenge der Sprache implementieren können, aber wie bei allen Vorläufern dieser Sprache war auch bei ADA_ULTIMA keine Untermenge erlaubt. Hätte McFurlong oder auch ich nur gewußt, daß die Testprogramme, die die Kommission auf Iridis in unserem Auftrag entwickelte (diese Arbeitsteilung bot sich an), und mit denen traditionsgemäß die Compiler auf Einhaltung der Sprachdefinition geprüft werden mußten, nicht in der Sprache geschrieben waren, die wir implementierten!

Die technische Seite der militärischen Bemühungen der Solaren Union litt erheblich unter dem Mangel an kompetenten Programmierern. Neue Feuerleitrechner in werftneuen Kampfraumschiffen mußten gegen ältere Modelle ausgetauscht werden, da für die neuen Rechner keine Software zur Verfügung stand. Die alten Feuerleitrechner waren jedoch schwerer, größer und langsamer, außerdem war die Software nicht an die neue Bewaffnung angepaßt. Was hilft es, wenn ein Geschützturm in 700 Microsekunden sich um hundertachtzig Grad drehen kann, wenn der Rechner ihn in gemütlichen 4000 Microsekunden herumsteuert? Solche Beispiele gab es viele. Und eine ganze Generation neuer Kleinraumschiffe lag auf Lager, weil es überhaupt keine funktionsfähigen Computer für sie gab.

Wir verloren dreiundzwanzig Sonnensysteme an der Innenseite des lokalen Spiralarms. Vier Kolonien wendeten sich gegen uns, die Händlersippen von Chigor brachen die Handelsbeziehungen mit uns ab. Der Großadministrator von Terra Nova, ein gewisser Perry Rhodan, erklärte die Planetengruppe um Arkon für unabhängig und hob die Preisbindungspolitik für die dortige Druckindustrie auf, worauf die Galaxis mit billigen Heftromanen überschwemmt wurde. Das war nicht so schlimm, aber man durfte die Auflage dieser Hefte nicht mit der Auflage der ADA_ULTIMA Manuale vergleichen. Und die Lesbarkeit auch nicht.

Dazu kommt noch, daß der Druck und der Vertrieb unserer ADA_ULTIMA Manuale fast ausschließlich durch die auf Terra Nova ansäßige Druckindustrie geschah. Im Gegensatz zu den Heftromanen stiegen diese im Preis, worauf die Solare Union sich weigerte, die so verteuerten Manuale abzunehmen. Das führte in der Folge dazu, daß die weitere Verbreitung von ADA_ULTIMA mit schlechten und zunehmend unleserlichen Kopien der Originalmanuale geschah.

Iridis wurde vom Imperium genommen, ohne daß wir einen einzigen Schuß zur Verteidigung abgaben (Iridis war der Achtzehnten Strategischen Flotte als Schutzgebiet zugeteilt worden. Die lag aber immer noch - völlig dekommissioniert - auf Calamos. Mit Iridum alleine kann man auch keine Schiffe reparieren. Und als der Urlaub der Besatzung aufgebraucht war, hatte man einfach dem ganzen Verband den Abschied gegeben. Die ehemalige Besatzung saß jetzt als Zivilisten auf Calamos. Sie hatten natürlich alles, was nicht niet- und nagelfest war, aus den Schiffen ausgebaut. Das Leben auf Calamos ist schließlich schwer.). Die auf Iridis heimische Urlaubsindustrie - einschließlich der Bordelle - fiel in die Hände des Feindes. Ein für sie günstiger Umstand, da die Kaufkraft der Kundschaft aus dem Chibra-Imperium der unsrigen zu jener Zeit bereits weit überlegen war.

Die Kommission für Programmierausbildung, die sich inzwischen fest auf Iridis etabliert hatte - des guten Klimas und der zentralen Lage wegen - fiel ebenfalls vollzählig in die Hände des Militärischen Abschirmdienstes des Chibra-Imperiums. Wie später bekannt wurde, hat keines der Mitglieder die Suggestiv-Verhöre der Spezialisten des Dienstes überlebt, da keiner der Befragungsspezialisten glauben konnte, daß die Kommissionsmitglieder tatsächlich nicht mehr wußten als das, was Chibra-Agenten schon in Erfahrung gebracht hatten.

Es spricht für die hervorragende Organisation, die die Kommission aufgebaut hatte, daß die Demission der Kommissionsmitglieder selbst sich nicht nachteilig auf die Programmierausbildung in der ganzen Solaren Union auswirkte.

Jedenfalls nicht direkt. Nach dem Tode aller Kommissionsmitglieder überließ das Imperium die Leichname den Schwefelessern auf Nochades, jener Rasse, die vermöge ihres Stoffwechsels eine ganze Reihe von nützlichen Chemikalien in reinster Form in ihrem Körper synthetisieren können. Ohne selbst eine technische Zivilisation aufgebaut zu haben, führten die Schwefelesser schon Handel mit raumfahrenden Zivilisationen Jahrhunderte vor der Entdeckung durch das erste terranische Scoutschiff.

Es geschah aber, daß der hohe Schwermetallgehalt der menschlichen Leichname für eine ganze Gruppe der Schwefelesser tötlich war. Es gelang dem Imperium, den Schwefelessern die Herkunft dieser Leichname deutlich zu machen, worauf wir mit Nochades wieder einen wichtigen Handelspartner verloren.

Vorfälle wie dieser, die die ganze Infamie der politischen Führung des Chibra Imperiums zeigen, spielten sich häufigst ab. Viele unserer Verbündete verloren wir durch solche Machenschaften des Imperiums, oder sie wandten sich gar gegen uns.

Da war zum Beispiel der Fall des Planeten Chochan, der von einer Rasse bewohnt wurde, die etwa auf dem technischen Stand der Menschheit im späten zwanzigsten Jahrhundert war. Wir lieferten ihnen seit Jahrzehnten Leichtwasserreaktoren, um den Energiehunger dieser jungen Zivilisation stillen zu helfen, und um die Beschäftigungschancen unserer Nukleartechniker zu verbessern (Wir selber verwenden diese Technologie ja nicht mehr so gerne.).

Eine Firmengruppe aus dem Chibra-Imperium bot ihre Dienste für Sicherheitsüberprüfungen an, zu sensationell niedrigen Preisen. Bevor wir noch richtig begriffen, was da vor sich ging, testeten sie jeden Reaktor auf Chochan, bis einer davon endlich in die Luft flog. Natürlich waren wir schuld, und von der Zeit an verkaufte nur noch das Imperium selbst Reaktoren an Chochan.

Allerdings waren wir schon lange davor Abnahmeverpflichtungen für radioaktive Abfälle sämtlicher Kategorien eingegangen, und an die waren wir ja immer noch gebunden. Normalerweise überließ die Solare Union das Zeug den Schwefelessern auf Nochades (deren Organismus zwar kein Cadmium oder Quecksilber verträgt, dafür aber aus ungeklärten Gründen mit Plutonium recht gut umgehen kann.). Aber die Nochader wollten von uns ja nichts mehr wissen. Also waren wir gezwungen, eine immer größer werdende Menge der radioaktiven Abfälle auf Schiffen der Flotte unterzubringen und durch die Galaxis spazieren zu fahren. Abgesehen davon, daß das die Transportkapazitäten der Flotte unnötig belastete, wurde der Steuerzahler der Solaren Union auch immer mehr durch die höher werdenden notwendigen Schmiergeldzahlungen belastet.

Wir hatten zwar die Hoffnung, daß die Nuklearabfalltransporte, für die natürlich die ältesten und technisch überholtesten Schiffe verwendet wurden, dem Feind ein gewisses Ziel bieten und so das Feuer von unseren moderneren Einheiten ablenken sollte. Immerhin wären wir dann bei jedem Treffer den Abfall los gewesen.

Leider kam es jetzt häufiger vor, daß Aktionsgruppen der GREENPEACE Organisation die Abfalltransporter bunt anmalten, um auf ihren Inhalt hinzuweisen. Die Feuerleitoffiziere des Imperiums wußten deshalb immer ganz genau, mit welchen unserer Schiffe sie sich nicht beschäftigen mußten. Zudem erhielten unsere so gekennzeichneten und geschonten Abfalltransporter auf fast allen Raumflughäfen Landeverbot. Damit war für deren Besatzung Landgang nicht mehr möglich, worauf die Gewerkschaft der zivilen Bediensteten der Flotte zum Streik aufrief, der nur mit Mühe und mit dem geltenden Kriegsrecht verhindert werden konnte.

Außerdem wurde, für die Zeit nach dem Krieg, den zivilen Bediensteten wesentliche Gehaltserhöhungen in Aussicht gestellt, wie General McBarsh, verantwortlich für das Nachschubwesen in der Flotte, in einer vielbeachteten Pressekonferenz den Vertretern der Gewerkschaft erläuterte. McBarsh, der die Verbesserungen, die er zusagte, mit einem Ehrenwort bekräftigte, mußte zu der Zeit schon gewußt haben, daß die finanzielle Lage der Flotte den zivilen Angestellten nicht einmal mehr ein gleichbleibendes Einkommen garantierte. Deshalb vermied er auch jede schriftliche Festlegung seiner Zusagen, brauchte sich aber bei der Höhe derselben nicht besonders zurückzuhalten.

Das Problem mit den Nuklearabfällen wurde dadurch nicht gelöst. Zwar hätte es nahegelegen, das ganze Zeug in eine Sonne zu schmeißen. Schließlich verschwindet so ein bischen radioaktiver Kleinkram spurlos in der gigantischen Masse eines Hauptreihensternes.

Dann jedoch hätte der betreffende Stern den Status einer atomrechtlich zu genehmigenden Anlage erhalten. Da die Entsorgung eines schwereren Hauptreihensternes problematisch ist (er endet immer in einer Supernova), war eine solche Genehmigung nicht zu bekommen. Damit verbot sich das Verfahren. Und wir fuhren fort, unsere bunten Nukleartransporter auf Kosten des Steuerzahlers spazierenzufahren.

Ich geriet zu jener Zeit immer stärker unter Beschuß. Zum einen, weil die ADA_ULTIMA Implementierung entsetzlich viele Personalkosten verschlang. Zum anderen, weil es immer noch keinen Compiler gab. Und dann waren da noch die elendiglichen Konferenzen mit den Schulungsabteilungen überall in der Solaren Union. Es hatte immer noch niemand gemerkt, daß draußen eine andere Sprache gelehrt wurde als die, die wir implementierten.

Ich bemühte mich nach Kräften, doch noch das Projekt zu bewältigen. Um der Komplexität des großen Vorhabens gerecht zu werden, führte ich ein strenges Berichtswesen ein und modifizierte es mehrfach, um es noch weiter zu verbessern. Außerdem wurde das Team durch mehrfache Umorganisation immer wieder der Struktur des Compilers angepaßt (soweit wir konkrete Vermutungen bezüglich der Struktur desselben hatten). Wegen dieser häufigen Umorganisationen wurde ich wiederholt kritisiert. Ich ging deshalb dazu über, auf Empfehlung der Firmenleitung diesen Vorgang als 'Weiterentwicklung der Organisation' zu bezeichnen. Dieses löste eine gewisse Erheiterung der Mitarbeiter aus: Ich wurde darüber informiert, daß schon im späten zwanzigsten Jahrhundert es einem Großkonzern nicht gelungen war, auf diese Weise Aktionäre und Mitarbeiter an der Nase herumzuführen.

Trotz dieser Maßnahmen, von denen nur mißgünstige Zungen behaupteten, sie ermögliche eher termingerechte Monatsberichte als eine zeitige Fertigstellung der eigentlichen Programmierarbeiten, blieb der Erfolg in Form eines funktionierenden Compilers aus.

Wir waren recht froh, als wir siebzehn Monate später endlich doch einen Compiler bekamen. Nicht von uns, sondern aus dem Imperium, von einem unserer Agenten hierhergeschmuggelt. Dieser Agent sagte aus, die Priesterinnen des Quibra-Kultes hätten den Compiler in langen Beschwörungssitzungen von ihrer siebenköpfigen Göttin erfahren, Zeile für Zeile. Der Mann wurde natürlich wegen Verfälschung militärisch enscheidender Informationen hingerichtet. Aber wie das Imperium es zustandegebracht hatte, einen Compiler für eine Sprache zu implementieren, die es garnicht kennen konnte, wußten wir damals nicht. (Die offizielle Lesart war natürlich, daß das Imperium den Compiler einem Softwarehaus der Solaren Union gestohlen hatte. Aber welchem Softwarehaus?)

Leider war jener Compiler nur auf einem einzigen Rechner lauffähig - einem Spielzeugrechner, der zudem noch über Umwege aus dem Imperium importiert (d.h. geschmuggelt) werden mußte. Zwar gelang es recht rasch, den Spielzeugrechner nachzubauen, sowie der dazu notwendige schnelle Prozessor in hinreichenden Stückzahlen verfügbar war, aber es war sehr schwer, diesen Rechner an die Waffensysteme moderner Großkampfraumschiffe anzuschließen. Außerdem war unser Modell wesentlich teurer, und, seitdem es verfügbar war, gab es ein Einfuhrverbot für denselben Rechner aus dem Imperium, um unsere heimische Industrie zu schützen. (Und natürlich durften wir keine derartigen Rechner in das Imperium exportieren, wie von der Admiralität verfügt wurde. Denn kaum, daß der Rechner die ersten militärischen Anwendungen fand, stand er bereits auf der Liste der Hoch-Technologie-Güter, die nicht einem potentiellen Feind oder dessen Verbündeten verkauft werden durften. Selbst, wenn wir welche zum Exportieren übrig gehabt hätten. Diese begabten Jungs von der Admiralität denken wirklich auch an alles.).

Selbst, wenn man diesen Rechner erfolgreich in die Waffensysteme einiger Raumschiffe integriert hatte, blieb noch viel Arbeit zu tun. Davon, daß man endlich einen neuen Compiler für diese neue Sprache auf dem Rechner hatte, gab es ja nicht automatisch die notwendige Software, um Schiffe und Waffensysteme zu steuern. Und Zeit und sprachkundige Programmierer, um diesem Mangel abzuhelfen, fehlten auch - wer ADA_ULTIMA buchstabieren konnte, arbeitete ja am Compiler mit.

So entschloß die Admiralität sich notgedrungen, Steuersoftware älterer Schiffe durch angelerntes Personal in BASIC umzusetzen, um so wenigstens quick-and-dirty Implementationen auf diesen neuen Rechnern zur Verfügung zu haben.

Weiterhin wurde unter äußersten Anstrengungen ein ADA_ULTIMA Editor fertiggestellt. Es handelte sich um einen syntax-semantik-gesteuerten Editor, der die automatische Erstellung von formal richtigen ADA_ULTIMA Programmen ermöglichte. Auch wenn dieser Editor nur eine Untermenge von ADA_ULTIMA beherrschte (sonst wäre er nie fertig geworden), ermöglichte er es doch, daß bereits Implementierungsprojekte in ADA_ULTIMA angegangen werden konnte, selbst, wenn man über Programmierer, die ADA_ULTIMA konnten, nicht verfügte, oder, wenn die Programmierer, die man hatte, zwar ADA_ULTIMA beherrschten, aber aus Geheimhaltungsgründen nicht an den eigentlichen Anwendungsprogrammen eingesetzt werden konnten. Ich weiß auch bis heute nicht, welche der beiden ADA_ULTIMA-Versionen dieser Editor bediente (vermutlich weiß es niemand) - wenn die Flotte etwas geheimhält, dann macht sie es gründlich.

Gerüchten zufolge organisierte die Flotte große Abteilungen, in denen blutige Programmieranfänger mit diesem Editor irgendwelche militärischen Anwendungen schreiben sollten. Über irgendwelche Erfolge hat man nie etwas gehört. Es sind vermutlich gigantische Mengen an ADA_ULTIMA Source-Code entstanden, von denen niemend weiß, was diese Programme getan hätten, wenn man sie nur irgendwann einmal mit einem richtigen ADA_ULTIMA Compiler übersetzt hätte. Die in BASIC übertragene Programme waren die einzigen Anwendungen, die rudimentär funktionierten (Aus diesem Grunde war den Vertriebsleuten, die den Kunden überall in der Solaren Union ADA_ULTIMA schmackhaft machen sollten, zwar aufgetragen worden, die Vorteile von ADA_ULTIMA gegenüber anderen Sprachen herauszustellen, aber dabei kein böses Wort über BASIC zu verlieren.).

Dann stellte es sich auf den ersten Manöverflügen heraus, daß Raumsoldaten, die sich langweilen, dazu neigen, irgendwelche Computerspiele zu laden und zu spielen - vielleicht auch eine Folge mangelhafter Urlaubsmöglichkeiten seit der Sache mit Beta Pictoris. Mehr als einmal kam es vor, daß ein Feuerleitrechner ein Geschütz nicht ausrichtete, weil er intern ein Klingonen-Raumschiff bekämpfte, oder Drachen in irgend einem Fantasy-Land auf dem Bildschirm malen mußte.

So schlecht dieser Rechner für ernsthafte Anwendungen geeignet war, so gut war er für Schulungszwecke. Kaum jedoch, daß eine genügende Anzahl dieser Rechner an alle Schulungsabteilungen geschickt worden war - ganze Fabriken hatten dafür umgestellt werden müßen! - kamen bereits aus der ganzen Solaren Union Beschwerden: Das sei überhaupt kein ADA_ULTIMA, was auf diesen Billigrechnern angeboten werde! Was sollte man davon überhaupt denken: diese Riesenabteilung mit inzwischen 17000 Programmierern, und noch keinen einzigen richtigen Compiler!

Alles ging natürlich auf mein Haupt nieder. Ich schickte Spezialisten - die dann natürlich in den Entwicklungsabteilungen fehlten - in alle unsere Kolonien, um Sprachauslegungen klären zu lassen. Schließlich schien uns der Compiler halbwegs in Ordnung.

Diese hektische Reisetätigkeit entzog der Flotte natürlich weitere Transportkapazitäten. Und davon hatte sie nicht mehr viel. Mit dem Fall von Chadmor und unseren schweren Verlusten dort stand das Imperium gewissermaßen in unserem Vorgarten. Jeder nichtmilitärische Raumflug wurde unterbunden, jeder andere auf das notwendigste beschränkt. Damit war ich meine etwa 2000 besten ADA_ULTIMA Spezialisten los. Und wir hatten immer noch keinen eigenen Compiler.

Unsere Personalknappheit zwang uns, ausländische Programmierer einzustellen. Die Admiralität mußte die Augen davor verschließen, daß es sich meistens um Agenten des Imperiums handelte, die, wenn sie schon nicht in der Lage waren, dem Imperium irgendwelche nützlichen Informationen über den Stand unserer Softwaretechnik zu übermitteln, so doch wenigstens dazu übergingen, unsere Programmierarbeiten nach besten Kräften zu sabotieren oder die Arbeitszeit damit zu verbringen, diese albernen Heftromane aus Arkon zu lesen. Wir ahnten das zwar, aber wir hatten unsere Soll-Kopfzahl zu halten. Außerdem schien alles unverändert: Der Compiler fuhr fort, nicht fertiggestellt zu werden.

Ich unternahm noch einen Versuch, wenigstens die destruktivsten Elemente aus dem Personal auszusondern. Es zeigte jedoch, daß gerade die Mitarbeiter, die in dem Verdacht standen, dem Imperium mehr Sympathien entgegenzubringen als der Solaren Union, die formalen Randbedingungen einer Mitarbeit in diesem wichtigen Projekt aufs allergenaueste erfüllten. Sie schrieben gewissenhaft ihre Monats- und Wochenberichte (manche taten nichts anderes), verletzten nie die Kernzeit und leisteten sogar Überstunden. Es war frustrierend, daß wir die, von denen wir totsicher waren, daß sie der Gegenseite angehörten, nicht fassen konnten. Andererseit mußten wir, aus Prinzip, einige unserer besten Spezialisten verwarnen, da sie morgens zu spät zum Dienst erschienen waren, auch wenn sie wahrscheinlich die Nacht zuvor durchgearbeitet hatten. Man lernt erst mit der Zeit, wie leicht beleidigte Softwerker die Seiten wechseln.

Inzwischen wußte das Kriegsministerium des Chibra-Imperiums, daß mit unserer militärischen EDV etwas nicht stimmte (Offenbar setzten sie keine Programme ein, um die Meldungen ihrer Agenten oder unserer Überläufer zu interpretieren!). Sie revidierten ihre ganzen Schlachtpläne dahingehend, daß sie besser daständen, wenn wir tatsächlich gezwungen waren, viele Funktionen manuell auszuführen. Im Prinzip ist das ganz einfach: Man braucht nur Manöver so schnell anzulegen, daß kein Mensch mehr folgen kann. Oder so unübersichtlich.

Die Taktik war sehr erfolgreich. Die Schlacht um Vega brachte uns immense Verluste. Siebzig Prozent aller Schiffe, fast achtzig Prozent des dort eingesetzten Personals mußten abgeschrieben werden. Von einem Moment zum anderen gab es keine langfristigen strategischen Ziele mehr. Nur noch Rückzug, Einheiten, die geschlossen desertierten, Überläufer, Chaos in der Wirtschaft. Spezialisten aller Sparten wurden abgeworben - im Imperium verdiente man schließlich wesentlich besser. Viele hohe Offiziere wußten, was sich gehört, und entzogen sich der drohenden Befragung durch den Feind durch Selbstmord, sogar General McBarsh, der noch bis zuletzt immer wieder auf seine eigenen Durchhalteparolen reingefallen war, ertränkte sich in seiner häuslichen Badewanne.

Alle Kurse fielen auf Null. Auf der Erde begann man, sich einzugraben. Man erwartete, die Schiffe des Chibra-Imperiums jede Sekunde am Himmel auftauchen zu sehen. Ich fand heraus, daß viele meiner Angestellten in der Dienstzeit damit beschäftigt waren, das Chibra-Idiom zu lernen, sogar ein übersetztes Exemplar des heiligen Buches der Quibra-Schwestern wurde in den Diensträumen gefunden.

Nun, sie tauchten zwar nicht am irdischen Himmel auf, aber plötzlich standen sie im Sonnensystem, tiefgestaffelt und schwer bewaffnet. Sie fragten ob unserer Bereitschaft zur bedingungslosen Kapitulation nach - eine rein rhetorische Frage, unter den gegebenen Umständen.

Zum selben Zeitpunkt wurde ich festgenommen und hierhergeführt. Die Verhandlung vor dem Kriegsgericht gestern (präsidiert von McFurlong, der schon immer gegen ADA_ULTIMA gewesen war) war nur noch eine Formsache. Ich war plötzlich an allem schuld: daß kein Compiler rechtzeitig fertig wurde, daß zwei völlig verschiedene Sprachen unter dem Namen ADA_ULTIMA geführt wurden (inzwischen hatte man es gemerkt!), daß unsere ganzen militärischen Aktivitäten durch Softwarefehler oder fehlende Software wirkungslos geworden waren.

Ich habe keine weitere Gelegenheit mehr, mich selbst zu verteidigen. Für den Fall, daß die Schiffe des Chibra-Imperiums schon vor morgen früh landen sollten, hat der Soldat draußen vor der Zellentür Befehl, mich sofort zu erschießen. Das gleiche, wenn ich einen Fluchtversuch unternehmen sollte.

Man hat mir diesen kleinen Spielzeugcomputer gegeben. Der hat auch einen recht brauchbaren Editor, mit dem ich diese letzten Zeilen verfasse. Und etwas ganz Besonderes hat er auch: einen ADA_ULTIMA Compiler. Der neueste Update aus dem Imperium. Natürlich eine Raubkopie, deren Kopierschutz entfernt wurde. Nicht entfernt wurden die Zitate aus dem heiligen Buch der Chibra-Schwestern, die auch wirklich jede Meldung des Compilers begleiten.

Aber auch ohne das hätte ich den Compiler in dieser letzten Nacht nicht ausprobiert. Wie auch? Ich kann ja kein ADA_ULTIMA.


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Der Abdruck dieser Geschichte erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Heise-Verlages. Copyright © 1996 und alle Rechte verbleiben beim Heise-Verlag. Abweichungen zur ursprünglich abgedruckten Fassung sind möglich, aber nicht beabsichtigt und alleine meiner Unkonzentriertheit zuzuschreiben.


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