Blockhaus


Josella Simone Playton


Am ersten Tage

schuff ich den Fußboden.

Das war noch einfach. Ich fällte Bäume und sägte die Stämme auf einheitliche Länge zusammen. Acht Meter erschien mir ausreichend. Dann legte ich zwei davon auf den Waldboden, parallel, im Abstand von etwa sieben Metern, legte zwei weitere drauf, und darauf wieder zwei. So, wie man Türmchen aus Streichhölzern baut. Natürlich versäumte ich nicht, in die Enden der Baumstämme Nischen einzufräsen, damit die Stämme unverrückbar ineinander festlagen.

Dann kam die erste Schicht des Bodens. Stamm neben Stamm. Ein Geviert von 8 mal 8 Metern entstand. In die Ritzen zwischen den Stämmen legte ich ein Gemisch von Gezweig und Erde, das ich feststampfte. Zur Abdichtung. Darauf legte ich, um 90 Grad gedreht, die zweite Schicht von Stämmen. Ein solider Boden. Er würde, da er keinen direkten Kontakt mit dem Waldboden hatte, trocknen und dicht sein und bleiben.

Am Abend des ersten Tages sah ich, was ich getan hatte, und es kam mir brauchbar vor.

Am zweiten Tage

schuff ich die Wände.

Auch das war noch einfach. Wieder fand das Prinzip der zwei parallelen Stämme Anwendung, nur fräste ich dieses Mal die Nuten an den Enden tiefer, so daß die übereinanderliegenden Stämme in einer Wand sich berührten. Dann dachte ich an die kalten Nordwinde und änderte meinen Plan. Zwei Stammreihen parallel für eine Wand. Ist erstens viel stabiler und ermöglicht zweitens, den Zwischenraum ebenfalls mit einem isolierenden Gemisch von Kleinholz und Erde aufzufüllen. Dieses Haus würde noch stehen, wenn ein Orkan den Wald rundherum umlegte.

Für die Wände mußte ich sehr viele Bäume fällen, und ich achtete darauf, dem Wald keine großen Kahlschlagswunden zuzufügen, sondern ihn eher durch gezielte Ausdünnung zu einer Art Parklandschaft aufzulockern. Es schien mir die Anstrengung wert, und es war in der Tat anstrengend, da das Holz über größere Entfernungen herbeigeschafft werden mußte.

Am Abend des zweiten Tages betrachtete ich die Wände, und ich war zufrieden.

Am dritten Tage

nahm ich mir das Dach vor.

Ich mußte mich mit dem begnügen, was der Wald an Material hergab. Und das war Holz in all seinen Formen, Gras, Nadeln und Blätter, Gebüsch, Erde und Steine. Keine Nägel, nicht einmal Seile. Das setzte jeder möglichen Konstruktion Grenzen.

Das Dach hatte natürlich eine Giebelform aufzuweisen, da der Regen ablaufen mußte. Natürlich mußten die Baumstämme, die es bilden würden, vom First bis zur Dachkante geneigt, einer neben dem anderen, verlegt werden. Ich hatte noch nie ein Dach gebaut und mußte improvisieren. Wahrscheinlich würde ich elementare Dachdeckerfertigkeiten neu erfinden müssen.

Zunächst versah ich den Innenraum des Blockhauses mit einer Decke - die übliche Konstruktion: Stamm neben Stamm. Diese Decke war stabil genug, in der Mitte eine Wand, gebildet aus weiteren Stämmen, zu tragen, die letzten Endes bis zum First hinaufreichen sollte.

Diese Wand mußte natürlich gegen das Umfallen gesichert werden. Aber das ergab sich, denn ich mußte gleichzeitig die Giebelwände hochziehen. Diese waren ebenfalls aus sukzessive kürzer werdenden Stämmen, die aufeinander lagen, gebildet, und Giebelwände und Firstwand wurden in der üblichen Weise mit Nuten ineinander verschränkt. Die Konstruktion war so stabil wie das ganze Haus.

Jetzt erst war es möglich, die Stämme vom First bis zur Dachkante hinunter zu verlegen. Wieder mußten die Ende dieser Stämme tief eingekerbt werden, damit sie nicht bei ihrer Schräglage ins Rutschen kamen. Dann aber ergab es sich, daß die Dachstämme am First so ineinander verschränkt sein mußten wie das bei der Kante zwischen zwei Wänden des Hauses der Fall war. Die Stämme waren schwer dorthin zu bugsieren, lagen sie jedoch erst einmal alle an Ort und Stelle, dann war das Dach in sich gegen jede mechanische Störung stabil.

Nur dicht war das Dach so noch nicht - durch die Ritzen zwischen den Stämmen konnte man von innen ja noch den Himmel sehen.

Ich ließ es jedoch zunächst damit bewenden und freute mich an dem robusten Aussehen des Hauses, das jetzt, von außen wenigstens, wie ein richtiges Blockhaus aussah. Am Abend dieses dritten Tages spürte ich die Müdigkeit in den Knochen.

Am vierten Tage

dichtete ich das Dach ab.

Die konstruktive Idee war, die Stärke eines Daches aus ganzen Baumstämmen mit der Fähigkeit zur Wasserabweisung eines Strohdaches zu verbinden. Geeignete Gräser fand ich genügend im Wald. Zunächst die Ritzen und dann die gesamte Fläche der Dachschräge wurden mit gekämmten Grasballen belegt und provisorisch befestigt. Oh, wieviel Gras muß man schneiden, um etwa hundert Quadratmeter Dach dicht zu belegen! Als diese Arbeit jedoch getan war, kam eine zweite Schicht schwerer Baumstämme auf das Dach. Diese drückten die massive Schicht aus gepreßtem Gras weiter zusammen und konnten selbst am Dachfirst so verkeilt werden, daß sie nicht herunterrutschten.

Nun mußte ein Regentropfen, um ins das Innere des Hauses zu gelangen, zunächst seinen Weg durch die Ritze zwischen zwei Stämmen auf dem Dach nehmen, dann, immer unter der Wirkung des Hangabtriebes, der durch die Dachschräge verursacht wurde, sich durch die Schicht aus Gras kämpfen, wieder den Weg zwischen zwei benachbarten Baumstämmen nehmen und dann endlich nach innen abtropfen. Auf dem Weg zum eigentlichen Innenraum war dann noch der Dachboden zu durchdringen, den ich nun, wie den Fußboden des Gebäudes, nachträglich abdichtete. Es mußte schon sehr schwer und sehr lange schütten, damit dieser Innenraum tatsächlich von Wasser erreicht wurde.

An diesem vierten Tag wurde also das Haus in seiner wesentlichen Substanz fertig. Ich betrachtete, was ich gemacht hatte, und ich war stolz.

Am fünften Tage

brach ich Türen und Fenster in die Wände des Hauses.

Das war sehr schwere Arbeit, da die massiven Wände solchem Vorgehen widerstanden. Und es war konstruktiv schwierig, da diese Öffnungen so befestigt werden mußten, daß sie keine Schwachstellen in der Konstruktion des Hauses bildeten. Ich zimmerte Rahmen, die ich mit den Wandeinschnitten verdübelte. Ich schnitt aus massivstem Holz einen Fenstersturz für jedes Fenster und für die Tür und verkeilte sie in den vorgesehenen Aussparungen. Nun war es nicht mehr möglich, mit den Körperkräften eines Menschen irgend etwas am Hause zu verbiegen oder zu verschieben.

Doch Fenster und Türen bedürfen der reversiblen Verschließbarkeit. Geeignete Holzplatten zu zimmern fiel mir nicht schwer. Aber was ist mit den Angeln, wenn man nur Holz zur Verfügung hat?

Ich mußte Zugeständnisse machen. Die Tür war eine massive Holzplatte, die sich paßgenau in den Türrahmen einfügte. Links und rechts brachte ich Lagergabeln an, in die man Balken legen konnte. Diese hielten dann die Tür verschlossen. Es war viel Feinarbeit, und das, was schließlich dabei herauskam, war einem mittelalterlichen Stadttor ähnlicher als einer Haustür. Aber es war über alle Maßen stabil, und so war ich es zufrieden.

Mit den Fenstern verfuhr ich genau so, denn Glas stand mir auch nicht zur Verfügung. Licht und Luft würde es in diesem Hause nur zusammen geben. Bei jedem Wetter. Und mit etwas Muskelarbeit.

Am Abend des fünften Tages sah dieses Haus so aus, wie man sich ein Haus wünscht. Nun konnte der Sturm kommen. Er würde mir nichts anhaben können.

Am sechsten Tage

schließlich baute ich einen Kamin.

Das war auch nicht einfach. Sowohl im Dachboden als auch im Dach selbst waren wieder Durchbrüche erforderlich. Die Feuerstelle selbst mußte mit Steinen gefaßt werden, da Holz einem Feuer natürlich nicht standhalten konnte. Nach kurzem Überlegen sah ich ein, daß auch der Schornstein keine reine Holzkonstruktion sein durfte. Steine fanden sich genug, aber viele mußte ich behauen. Ich scheute keine Mühe, und ich wurde früh am Tage damit fertig.

Es war noch etwas Zeit, mir etwas notwendige Inneneinrichtung zu zimmern: Ein Tisch, zwei Stühle, eine Bettstatt, einen Schrank. Nach der schweren Arbeit am Haus war dies die reine Erholung. Auch fügte ich an verschiedenen Stellen des Hauses, wo immer es mir sinnvoll erschien, weitere Befestigungen an: Hier eine Bohrung und einen Dübel, dort ein Zwischenkeil.

Am Abend des sechsten Tages sah ich auf mein Werk, und ich sah, daß es gut war. Hier war man geborgen. Wie wäre es gewesen, in diesem Haus aufgewachsen zu sein? Hätte man nicht mit diesen bodenständigen, erdverbundenen Wänden schon als Kleinkind den Begriff 'Geborgenheit' aus dem Vollen getrunken? Würde man nicht das ganze Leben hindurch, wohin man auch geht, diese Kraft spüren? Alles vergeht, dieses Haus besteht, und es wird Moos ansetzen, aber es wird nicht fallen.

Es wird sogar mich überdauern.

Deshalb schrieb ich sorgfältig alle seine Dateien auf die Platte und machte gewissenhaft eine Sicherung. Immer wieder unterbrach ich diese Tätigkeit, um mir das Haus auf dem Bildschirm noch einmal von allen Seiten anzusehen. Ich probierte noch verschiedene Stellungen der Sonne aus, aber es gab nicht einen Einfallwinkel des Lichtes, der dem Raytracing- Algorithmus irgendwelche Schwierigkeiten machte. Die Textur des Holzes sah unglaublich echt aus.

Dann schaltete ich den Rechner aus, trat ans Fenster, sah auf den Hof hinunter, auf die Mülltonnen und den Parkplatz, und auf das Eisenbahndepot gegenüber. Ich sah die dreckigen Pfützen auf dem Asphalt und den Ölfilm darauf. Ich sah Kinder spielen, und sie spielten 'Robinson Crusoe', aber ihre Insel war eine Verkehrsinsel. Sie sahen den Verkehr um sich herum nicht, aber ich sah ihn. Ich sah auch die Fabriken hinter dem Eisenbahndepot, und ich hörte den Lärm von dort. Da weinte ich.

Am siebenten Tage

tat ich nichts.


© 1997 Josella Simone Playton
1998-07-28 19:59:59 MESZ .. 1999-07-02 23:59:59 MESZ


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